Börsenblatt „Dienstleister“: Beratung – Sicher und Smart
Abstand wollen Buchhändler gerade nicht, vielmehr natürlich Nähe zu den Kunden. Das Zauberwort der Corona-Zeit sollte deshalb nicht social distancing, sondern smart distancing sein: zwei Meter Abstand und doch in engem Kontakt mit dem Gegenüber. Kommunikation bleibt das Alpha und Omega, erfordert durch die Corona-Regeln aber Extra-Aufmerksamkeit, sagen die Experten, die Buchhändler beraten.
Zum Beispiel Klaus Bramann. »Zuwendung sollte zentral bleiben«, betont er. »Es gibt zwar die Berechnung, wie viele Minuten ein Kundengespräch dauern soll, damit es noch lukrativ ist. Für die unabhängigen Buchhandlungen, mit denen ich zusammenarbeite, halte ich aber nichts davon« – grundsätzlich nicht und auch nicht in Corona-Zeiten, wenn die Verweildauer im Geschäft eingeschränkt werden soll. »Kunden, die Beratungszeit brauchen, sollen sie auch bekommen.« Dabei könne es helfen, sich einem Call Center anzuschließen, rät der Frankfurter Buchhandelsberater denen, die das noch nicht getan haben. So kann man beim Kunden bleiben, das Telefon läuft aber nicht ins Leere.
Die anderen, die noch draußen warten müssen, bevor sie hereinkommen dürfen, sollten allerdings nicht im Regen stehen gelassen werden. »Zum Beispiel kann man Tische und Stühle vor dem Laden aufstellen und Kundenmagazine auslegen, um die Wartezeit so angenehm wie möglich zu gestalten.« Und an nassen Tagen die Markise ausfahren oder Schirme aufstellen.
Ausdruck trotz Maske
Nicht nur die Zuwendung zum Kunden braucht in Corona-Zeiten noch mehr Fingerspitzengefühl als sonst, auch die Form der Kommunikation ändert sich etwas. »Durch die Gesichtsmaske fällt ein Teil der Mimik weg. Damit sind die Augen und Augenbrauen umso wichtiger. Weil das für manchen ungewohnt ist, kann man üben, sie einzusetzen«, sagt Buchhandlungsberater Christoph Honig. Man kann zudem Masken mit witzigen Motiven tragen, auch das kann ein Einstieg für ein Gespräch sein. »Das sind nur Details, aber sie tragen mit zum Gelingen der Begegnung bei.«
»Die Augen können Bände sprechen«, sagt auch Elena Appel, Referentin beim Börsenverein und Trainerin am Mediacampus – das kann aber ebenso ungewollt passieren: Wem gleich die Hutschnur platzt, weil ein Kunde einfach nicht locker lässt, während draußen andere in der Schlange stehen und der Nächste gerade ohne Mund-Nasen-Schutz in den Laden gekommen ist, sollte sich darüber im Klaren sein, dass man auch in einem maskierten Gesicht viel lesen kann.
Pokerface muss allerdings nicht sein, stoischer Gleichmut ebenfalls nicht, meint Appel. Buchhändler müssen sich auch in Corona-Zeiten, wenn sie als Gesprächspartner oder sogar Seelsorger besonders gefragt sind, nicht vereinnahmen oder über Gebühr beanspruchen lassen. »Es hilft, früh und klar zu kommunizieren, etwa zu sagen, dass die Situation gerade schwierig ist und man ein längeres Gespräch auf einen anderen Termin verschieben muss«. Der Kunde ist Gast, der Buchhändler darf sich aber abgrenzen: »Wichtig finde ich es, bei sich selbst zu sein, authentisch zu bleiben.«
Wenn durch die Maske ein Teil der Mimik wegfalle, wird zudem die Gestik umso wichtiger, fügt Appel hinzu. »Man neigt dazu, mit dem physischen Abstand die Körpersprache einzuschränken. Das sollten Buchhändler aber gerade nicht tun.« Vielmehr bleibt der Tipp in Normal- wie in Corona-Zeiten: »In der einen Hand das Buch halten, das man dem Kunden empfiehlt. Mit der anderen Hand die Geschichte des Buchs unterstreichen, die man erzählt.«
Appel weiß aus ihrer eigener Trainings-Erfahrung, dass Reden mit Maske anstrengender ist als ohne. »Mehr reden als sonst«, rät sie Buchhändlern dennoch. »Das, was an Mimik wegfällt, durch Worte ersetzen.«
Und noch etwas betont sie: »Die Corona-Krise bedeutet vermehrten Stress. Buchhändler sollten deshalb besonders gut auf sich achten.« Zum Beispiel sich ab und zu ins Hinterzimmer zurückziehen, durchatmen, viel trinken, die Maske wechseln. Sich außerdem bewusst sein, dass die Zündschnur bei allen aktuell kürzer ist als sonst. Nach Feierabend kann Yoga helfen, Sport, ein Spaziergang, natürlich ein Buch – »alles, was dazu beiträgt, etwas herunterzukommen und es sich gut gehen zu lassen.«
Mehr (Liefer-) Service
Masken sind nicht nur für Buchhändler anstrengend, auch viele Kunden mögen sie nicht – und sie können Hörprobleme verstärken. »Zur Not kann man etwas aufschreiben, wenn ein älterer Kunde den Buchhändler hinter der Maske nicht versteht, oder man geht hinter die Plexiglasscheibe und nimmt die Maske ab«, empfiehlt Christoph Honig. »Sonst aber sollte man nicht hinter der Scheibe bleiben, sondern dem Gegenüber ohne Schranke begegnen.«
Sehr wichtig findet der Buchhandelsberater aus dem südhessischen Lorsch zudem, das zu pflegen, was geholfen hat, die ersten Wochen der Corona-Krise zu überstehen: Internet-Auftritt und Lieferservice. »Mancher Buchhändler mag insbesondere den aufwändigen Lieferservice nicht. Und doch ist er ein Pluspunkt, nicht nur in Corona-Zeiten, für ältere Kunden etwa oder für die, die nicht mit Maske einkaufen mögen«. Honigs Tipp: »Offensiv mit diesem Service umgehen.«
Beim Internet sieht er insgesamt Luft nach oben: »Digitale Angebote sind nun mal der Trend unserer Zeit. Die guten Erfahrungen der ersten Corona-Wochen kann man als Anlass nehmen, sich online zu verbessern und Kunden so weit wie möglich in ihren Ansprüchen entgegenzukommen.«
Positive Nebenwirkungen
Josef Mütter, Buchhändler in Bad Münstereifel, hat solche guten Internet-Erfahrungen gemacht und bleibt dabei, offensiv mit dem Lieferservice umzugehen. »Mit Kunden, die ein Buch für ein paar Euro kostenlos in die tiefste Eifel geliefert haben wollen, muss man dann reden, kann man in der Regel aber auch.« Mütter kommuniziert mit Humor und sehr offen, beides kommt an. Auch über Facebook ist er aktiv, dort postete er während der Corona-bedingten Schließung ein 15-minütiges Video: »Spontan gedreht, eigentlich viel zu lang, und doch wurde es mehr als 25.000 Mal angeklickt.«
In dem Video erklärt er unter anderem, dass Bücher überall dasselbe kosten und dass Corona den Einzelhandel noch einmal verstärkt in Frage stellt. »Viele meldeten sich und sagten, dass sie das alles nicht gewusst haben, aber dann ja auch bei mir Bücher kaufen könnten« – und so ist es tatsächlich gekommen: Mütter hat neue Kunden gewonnen. Corona nutzt er weiterhin als Chance, über die Situation der Innenstädte und des Einzelhandels zu sprechen. »Ich treffe auf offene Ohren«, berichtet er. »Ob das Virus aber den negativen Einzelhandelstrend verstärkt oder tatsächlich etwas zum Positiven verändern kann, muss sich erst noch zeigen.«
Erst einmal aber tat die Zuwendung der Kunden während des Lockdowns und unmittelbar danach sehr gut, setzte auch Kräfte frei. Nicht nur bei Josef Mütter, ebenso beim Team der Buchhandlung Dietsch im Süden Düsseldorfs, die Nicole Albrecht und Claudia Hoferer vor zwei Jahren übernommen haben. »Die Dankbarkeit für den Lieferservice und die Freude darüber, dass wir wieder geöffnet haben, war überwältigend«, sagt Nicole Albrecht.
Zehn Kunden dürfen jetzt im Geschäft sein, insbesondere an den Nachmittagen und samstags gebe es deshalb draußen Warteschlangen. »Im Geschäft haben wir zwei der drei Bestellbereiche und die Sitzmöbel entfernt, um mehr Platz zu haben und um die Verweildauer zu verringern.« Trotz Masken und Einschränkungen laufe es aber richtig gut – und jetzt gelte es eben, das neue Bewusstsein für die Bedeutung des Buchhandels wachzuhalten.
Artikel „Sicher und Smart“ aus dem Börsenblatt Plus Dienstleister Heft 1/20 von Sabine Schmidt